Martin Schuster
Seminararbeit Designgeschichte: Frei Otto

Inhaltsverzeichnis
Einleitung, Lebenslauf Frei Ottos
Technische Grundlagen
Projekte Frei Ottos und des Instituts für Leichte Flächentragwerke
Literaturverzeichnis

 

2. Projekte Frei Ottos und des Instituts für Leichte Flächentragwerke:


Die folgende Beschreibung einiger Projekte des Architekten stellt keine vollständige Werksauflistung dar, sondern ist vielmehr eine subjektive Auswahl wichtiger Arbeiten.

 

1955: Bundesgartenschau Kassel:


Die Planer der Bundesgartenschau in Kassel waren durch das Freilichttheater am Killesberg, Stuttgart (1955), ein nicht realisiertes Wettbewerbsprojekt Ottos mit einer Seilnetzkonstruktion über einem Rundbogen, auf ihn aufmerksam geworden, und so hatte Otto die Möglichkeit, einige temporäre Überdachungen zu schaffen, eine Aufgabe, die für ihn insbesondere deswegen interessant war, da er der Auffassung ist, seine Bauten sollen nur so lange bestehen, daß sie dem Menschen nicht im Wege sind (vgl. 3, S. 10 Mitte, „its realisation will be temporary enough not to be in man's way“).
Hier etablierte sich die Zusammenarbeit mit der Firma Strohmeyer, die seither bei allen Entwürfen mit praktischer Erfahrung zur Seite steht.

Der Musikpavillon

Man kann dieses Dach als erstes Versuchsobjekt Ottos einer sattelförmigen Minimalfläche in Originalgröße betrachten. Ein ca. 1 mm dickes Baumwollgewebe überspannte 18 m Länge, wesentlich mehr, als im Zeltbau für freie Tuchspannweiten üblich war. Das Dach blieb während des Sommers 1955 bestehen und erwies sich auch bei stärksten Sturmböen als äußerst haltbar. Ferner zeigten sich sehr gute akustische Eigenschaften der gespannten Membrane (vgl. 1, S. 18).
Die Leichtigkeit und die dynamische Sternform symbolisieren sehr schön die Musik, die unter der schützenden Haut erklang, wenn dort ein Orchester spielte. Die nach allen Seiten offene Form ließ ein Beobachten der Musiker aus allen Richtungen zu, und trug so, beim Umrunden des Pavillons, auch zu einem neuartigen akustischen Erlebnis bei.

Der Falter

Auf der BUGA in Kassel wurde noch ein anderes Prinzip, das der Wellenflächen, auf seine Praxistauglichkeit hin überprüft. Die Schnitte für die verwendeten Stoffbahnen wurden ausschließlich durch Abmessen des exakt ausgeführten 1:25-Modells gewonnen. Diese Methode erwies sich als äußerst praktikabel und wurde bei den meisten späteren Bauten verwendet. An dem für das Wellenzelt gewählten Hang entstanden außergewöhnlich hohe Windgeschwindigkeiten, denen aber auch dieses Bauwerk problemlos standhielt (vgl. 1, S. 27 rechts)
Ottos Theorien der zugbelasteten Konstruktionen erwiesen sich mehr und mehr als richtig, und so wurden seine Bauten von der Fachwelt sehr positiv aufgenommen. Man bewunderte die Zurückhaltung, die Leichtigkeit und Einbindung der Zeltbauten in die Natur. Und so beauftragte man ihn schon hier für die Bundesgartenschau in Köln 1957.

1957: Bundesgartenschau Köln


Hier übernahm Frei Otto bereits einen Großteil der Gartenschaubauten, und bekam so die Möglichkeit, auch größere Spannweiten in Angriff zu nehmen.

Der Eingangsbogen


Dieser Entwurf zählt mit seiner unglaublichen Leichtigkeit und der für den Betrachter sich je nach Standpunkt völlig verändernden Gestalt sicherlich zu Ottos genialsten Werken. Man wird eher an ein in die Luft geschleudertes Seidentuch erinnert als an ein Bauwerk das, mit ähnlicher Funktionalität, beispielsweise in Beton ausgeführt viele Tonnen wiegen würde; und doch wurden 698 m² überdacht.
Ein 19 cm dicker Stahlrohrbogen spannte sich in einem leichten Bogen 34 m weit. Er trug, und wurde gleichzeitig stabilisiert von einem Glasseidengewebe, dessen Enden in 12 m Entfernung beiderseits des Bogens über je zwei 3 m hohe Seilböcke gespannt waren. Glasseidengewebe hatte gegenüber Baumwollgewebe den Vorteil, sich unter Belastung fast nicht zu dehnen oder zu verformen, so daß der Stahlrohrbogen keiner Knickbelastung ausgesetzt war, da sich das Gesamtgebilde selbst bei starker Windbelastung nicht verformte. Es muß jedoch mit größter Präzision zugeschnitten und verarbeitet werden, denn auftretende Falten lassen sich auf Grund der fehlenden Elastizität nicht durch Spannen beseitigen. So war in der Vorbereitungsphase ein genauester Modellbau nötig, denn auch diese Konstruktion stellt den ersten realisierten Bau seiner Art dar (vgl. 1, S.54ff).

Das Tanzbrunnenzelt

Dieses Bauwerk zählt zu Ottos berühmtesten Konstruktionen. Es war als Sternwellendach ausgeführt, ähnlich dem „Falter“ (BUGA Kassel), und stellte somit die ideale Überdachung für die kreisrunde Tanzfläche dar. Dabei überspannte es eine Fläche von 24 m Durchmesser mit geringst möglichem Materialaufwand. Selbst die die Hochpunkte tragenden Stahlmasten wurden so transparent und leicht wie möglich gestaltet: sie wiesen ihren größten Durchmesser in der Mitte auf, da hier die stärksten Knickkräfte wirken. Zwischen den je sechs Hoch- und Tiefpunkten war weißes Baumwolltuch in Minimalfläche gespannt, so daß sich eine in sich sehr steife Konstruktion ergab. Die Lautsprecher strahlten gegen die Dachfläche, was für gleichmäßige Lautstärkeverteilung auf der Tanzfläche und wenig Störabstrahlung nach außen sorgt.

Auch dieses Dach schien vom Erdboden losgelöst zu schweben „wie ein Petticoat“. So wirkte es nicht erdrückend und trug seinen Teil zu einer ausgelassenen, heiteren Stimmung bei. Zusammen mit der Betonplatte, dem Teich und den umliegenden großen Bäumen ergab sich ein spannendes, aber nicht aufdringliches Ensemble; die hochspezialisierte Technik trat in den Hintergrund, dem Betrachter zeigte sich ein florales leichtes Gebilde ähnlich einer Seerose auf einem Teich. Dieser Eindruck entstand nicht zuletzt dadurch, daß jedes Element genau die Form hatte, die der Erfüllung seiner Funktion am dienlichsten war: ein Zusammenhang, der am ehesten aus der Natur bekannt ist, wo nichts zum Selbstzweck existiert, sondern stets seiner Aufgabe entsprechend geformt ist.

Noch viele Jahre wurden Eingangsbogen und Tanzbrunnenzelt der Bundesgartenschau in Köln regelmäßig zum Sommer wieder aufgebaut, was ganz deutlich zeigt, wie hochfunktionell Zeltbauten im zeitlich begrenzten Nutzungsrahmen sind, und wie hoch der architektonisch-ästhetische Wert dieser Werke ist. (vgl. 1, S. 46 ff)

 

1957: Das INTERBAU-Café Berlin


Auch anlässlich der INTERBAU-Ausstellung in Berlin konnte Otto ein neues Konstruktionsprinzip erproben. Für die dort gestellten Anforderungen schien ihm ein sogenanntes Buckeldach an geeignetsten. Dabei wird eine eben geschnittene Membrane durch sternförmige Holzfederköpfe in eine räumliche Form gebracht, so daß jeweils zwischen den Unterstützungspunkten Minimalflächen entstehen. Das Tuch wird durch seitlich eingenähte Spannseile straff gehalten, während paarweise unterschiedlich hohen Stützmasten dafür sorgen, daß auch zwischen den Buckeln das Wasser ungehindert ablaufen kann.

Unter der 24x28 m großen Dachfläche waren innerhalb kleiner Holzbauten die Küchenbereiche untergebracht, daneben auch ein Teil der insgesamt 800 Sitzplätze des Cafés. Die restlichen Plätze verteilten sich unter fünf bunten Sattelflächen, ähnlich dem Musikpavillon in Kassel.
Mit den Buckelzelten hat Otto eine Konstruktionsweise perfektioniert, die es ermöglicht, mit minimalem Aufwand an Schnittplanung und Zeit beim Aufbau eine stabile, windsichere temporäre Überdachung auch sehr großer Flächen zu erreichen, sofern die geringen Abstände der Stützmasten im Inneren und die niedrige Höhe kein Hindernis sind (vgl.1, S. 68f).

 

1960: Das Freilichttheater Nijmegen (Entwurf)

Für dieses seit den dreißiger Jahren bestehende Freilichttheater bot sich ein wandelbares Dach an. Bei schönem Wetter sollte die Dachkonstruktion so wenig wie möglich in Erscheinung treten, bei plötzlich einsetzendem Regen sollten die Dächer manuell oder automatisch ausfahren und möglichst viele Sitzplätze überdachen, ohne die Sicht zu stören.
Dieses Ziel war mit starren Dachteilen kaum wirtschaftlich erreichbar. So plante Otto ein fünfteiliges wandelbares Zeltdach. Von drei Masten in den hinteren Rängen sollten sternförmig Seile zu einem über der Spielfläche gespannten bogenförmigen Randseil führen, an denen mit Hilfe motorisierter Laufkatzen vollautomatisch die spitzzeltartige Dachhaut aufgespannt werden könnte. 1200 m² würden dann vor Regen geschützt werden. Eingefahren wären die Zelte ballenartig um die Masten gehüllt und träten so kaum mehr in Erscheinung. Trotz der offensichtlichen Wirtschaftlichkeit des Entwurfes kam es jedoch nie zu seiner Ausführung (vgl. 1, S. 136f).

 

 

 

 

1967: Freilichttheater der Stiftsruine, Bad Hersfeld

Hier bekam Frei Otto die Möglichkeit, ein wandelbares Dach in die Tat umzusetzen. Wichtig war hierbei, daß die historische Stätte durch das Dach nicht verunstaltet wird, und trotzdem möglichst viele Zuschauer vor Regen geschützt werden können. Das Dach besitzt nur einen einzigen Masten, der außerhalb des Schauspielraumes aufgestellt ist. Er trägt sowohl die radial angeordneten Seile, als auch die Dachhaut im eingefahrenen Zustand. Das entfaltete Dach besteht, durch das Einplanen mehrerer Hochpunkte, die ebenfalls von den Seilen gehalten werden, wiederum aus Minimalflächen und ist so windsicher. Das leicht wirkende Dach nimmt der Ruine fast nichts von ihrem Reiz, tritt im eingefahrenen Zustand kaum in Erscheinung und wirkt selbst voll entfaltet nicht störend, sondern stellt seinen hilfreichen Charakter auch optisch gut dar (vgl. 2,S. 114). So weit mir bekannt ist, existiert es noch heute.

 

1967: Deutscher Pavillon, Weltausstellung in Montreal

Dieser Pavillon stellt Ottos erstes Großprojekt dar. In Zusammenarbeit mit Rolf Gutbrod entstand eine Zeltstruktur, wie sie in dieser Größenordnung zusammenhängend noch nie gebaut worden war. Möglich wurde dies durch das angewandte überlegene Konstruktionsprinzip. Tragender Bestandteil war hier ein Netz aus Stahlseilen mit einer Maschenweite von 50 cm, getragen von acht Masten zwischen 14 und 38 m Höhe. An diesem Netz befestigt hing eine dünne, nur leicht gespannte Haut aus leicht durchscheinendem Polyestergewebe, die der Form des Netzes somit exakt folgte. Ein umlaufendes Randseil mit 31 Ankerpunkten begrenzte die 8000 m² große Dachfläche, drei im Inneren des Daches liegende trichterförmige Tiefpunkte sorgten für eine genügend starke Krümmung der Netzfläche, so daß auch hier wieder eine fast ausschließlich aus Minimalflächen bestehende Konstruktion entstand. Lediglich an den Hochpunkten ergaben sich konstruktionsbedingt augenförmige Öffnungen, die nur durch extrem hohe Masten zu vermeiden gewesen wären. Zur Schließung der Öffnung wurde jeweils ein kleines ebenes Seilnetz eingesetzt, das mit klarem Plexiglas ausgekleidet wurde. So konnte auch im Inneren des Zeltes direktes Licht einfallen.

Dort wurden Stahlplatformen in verschiedenen Höhen angeordnet, um Ausstellungsstücke aufzunehmen, kleine, geschlossene dachlose „Gebäude“ stellten geschützte Bereiche zur Verfügung. Die von Frei Otto geplanten Gartenterrassen wurden jedoch nicht realisiert. Es waren dies erste Ansätze Ottos späterer Vision „überdachter Städte“, die, von riesigen hängenden Dächern geschützt, dem Menschen eine Besiedelung unwirtlicher Erdteile ermöglichen sollten.
Otto gewann den Wettbewerb um den Bau des deutschen Pavillons nicht zuletzt aufgrund überlegener wirtschaftlicher Vorteile der Konstruktion. Die Einzelteile konnten in Deutschland gefertigt, platzsparend auf Schiffe verfrachtet und erst vor Ort zusammengefügt werden. Und während der Bau der anderen Pavillons schon längst begonnen hatte, bemitleidete man das deutsche Team, da man es nicht für möglich hielt, eine so große Dachfläche in so kurzer Zeit zu errichten. Der Aufbau ging jedoch innerhalb weniger Wochen von statten, und der Pavillon wurde rechtzeitig fertig gestellt. Denn wie bei allen Bauten Frei Ottos war der eigentlich arbeitsintensive Teil die Planung des Baues. In vielen exakten Modellen wurde der genaue Oberfächenverlauf des Bauwerks ermittelt, Windkanalversuche zeigten besonders belastete Bereiche, und sammelte man an einem 1:1-Modell des Konstruktionsprinzips Erfahrungen für den Zuschnitt des Polyesterstoffes und den Aufbau des Netzes.

Das Thema der Weltausstellung lautete „Der Mensch und seine Welt“. Die Idee war, mit dem Pavillon ein Stück „vom Menschen geschaffene Landschaft“ (2, S.109, „...to create a man-made landscape.“) zu errichten. Das Bauwerk wirkte trotz seiner, im Vergleich zu Ottos bisherigen Bauten, großen Oberfläche fast natürlich und selbstverständlich in seiner Form, glich einer schneebedeckten Berglandschaft oder einem vom Morgentau schweren Spinnennetz.
Der deutsche Pavillon galt als einer der schönsten und wirtschaftlichsten der Weltausstellung und erhielt den „Prix Perret“, einen internationalen Architekturpreis, der nach Auguste Perret (1874-1954) benannt ist, einem der ersten Architekten, die in ihren Bauwerken die Konstruktion offen zeigten und als Gestaltungselemente einsetzten.
Auch Richard Buckminster Fuller (1895-1983) war auf der Weltausstellung vertreten. Er baute den amerikanischen Pavillon, eine druckbeanspruchte Konstruktion aus Plexiglas und Stahl, die er als Versuchsmodell für die von ihm geplanten „Klimakuppeln“, die ganze Städte überdachen sollten, entwarf. Auch Frei Otto hatte solche Pläne, jedoch wollte er zugbeanspruchte Konstrukionen in Form von Pneus verwenden. Wie auch viele andere Architekten dieser Zeit waren sie der Meinung, eine Überdachung, ein Schutz gegen Witterung, sei ein Segen für die Städte und ihre Bewohner. Da sich jedoch im Laufe der Zeit das Wetter nicht als der größte Feind der urbanen Bevölkerung herausstellte, wurden die Pläne nie realisiert.

Eine Ahnung davon, wie der Pavillon auf seine Besucher gewirkt haben muß bekam ich beim Besuch des Instituts für Leichte Flächentragwerke auf dem Gelände der TU Stuttgart. Der Testaufbau für den deutschen Pavillon wurde leicht modifiziert, man versah ihn außen mit Dachschindeln, einer Isolierschicht und einer Holzvertäfelung an der Innenseite. Eine den Randseilen folgende umlaufende Verglasung aus Doppelscheiben und das am Mast konstruktionsbedingt entstehende „Auge“ aus Plexiglas sorgt für ausreichend Licht, ein flaches Nebengebäude für zusätzlichen Stau- und Arbeitsraum.

Die 460 m² überdachte Fläche wird durch ein Stahlpodest in der Mitte auch in der Höhe ausgenutzt, dort befindet sich eine kleine Bibliothek und einige der von Otto konstruierten Versuchsanordnungen. Die Arbeitstische sind entlang der Fenster angeordnet, Räume, die geschlossene Wände erfordern (Fotolabor, Abstellraum) sind im Nebengebäude untergebracht.
Erstaunlich schwierig gestaltet es sich jedoch, das Bauwerk auf dem Campus zunächst einmal zu finden. Trotz genauer Beschreibung des Weges tat ich mich schwer, das Gebäude als solches zu erkennen, selbst als ich nur noch 50 oder 100 Meter davon entfernt war. Eingebettet zwischen hohe Bäume wirkt es zwischen den Betonklötzen der Universität so wenig künstlich, so zurückhaltend trotz der außergewöhnlichen Form, daß man es nur zu leicht übersieht.
Doch das eigentlich Überraschende ist die im Inneren herrschende Stimmung. Alles wirkt sehr „demokratisch“, es gibt keine Ecken, keine Hierarchie innerhalb des Raumes, keine optisch hervortretenden Bereiche. Es ist erstaunlich hell, warm und wohnlich, man fühlt sich willkommen und sofort in die Gruppe der Anwesenden integriert. Und obwohl Frei Otto die Leitung des IL schon 1991 abgab, sind seine Ideen und Visionen dort noch sehr gegenwärtig.

1968-1972: Das Münchner Olympiadach


Die folgenden Informationen stammen zu einem großen Teil aus einem Gespräch mit Dipl.-Ing. Jürgen Hennicke am Institut für Leichte Flächentragwerke, der bei der Planung des Baues 1968 mitwirkte.
Ursprünglich war Frei Otto an diesem Baukomplex gar nicht beteiligt. Der Entwurf stammt aus dem Architekturbüro Benisch und Partner, die den Wettbewerb mit ihrem offensichtlich stark vom Pavillon in Montreal beeinflußten Plan, einen Olympiapark zu schaffen, der mit der München umgebenden Landschaft harmonisiert, gewannen. Man erwägte für die Realisierung mehrere Lösungen. So war geplant, das Bauwerk komplett aus Spannbeton zu fertigen, eine Seilnetzkonstruktion mit Beton auszufachen, oder eine biegesteife Fachwerkbauweise zu wählen. Doch alle Versuche im Vorfeld schlugen fehl, und so zog man schließlich Frei Ottos Institut hinzu. Und obwohl er von Anfang an auf stärksten Widerstand und Inakzeptanz der beteiligten Ingenieure stieß schaffte er es schließlich, die leichteste und beständigste Lösung durchzusetzen.
Wie in Montreal ist ein Seilnetz die tragende Konstruktion, jedoch ist die Ausfachung in Form von Acrylplatten auf der Außenseite angebracht, um den für einen unbegrenzten Nutzungszeitraum geplanten Bau leichter pflegen zu können. Von diesem Unterschied abgesehen wäre es möglich gewesen, die Konstruktion wie in Montreal auszuführen. Man entschloß sich jedoch, auf Druck der institutsfremden Ingenieure, das Bauwerk wesentlich massiver und stabiler zu konstruieren, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Hier zeigt sich, wie groß das unbegründete Mißtrauen gegenüber den zugbeanspruchten Konstruktionen aufgrund ihrer leichten Anmutung selbst unter Spezialisten ist. So verwendete man z.B. durchgängig Doppelseile für das Netz, obwohl eine einfache Ausführung völlig ausreichend gewesen wäre.
Die wichtigsten Bauten sind:

Die Olympiahalle

Bei dieser Seilnetzdachhalle ist insbesondere interessant, daß sie trotz der großen Überdachungsfläche von 21750 m² keine Stützen im Inneren hat. Hochpunkte werden durch sogenannte „Luftstützen“ erzeugt. Dazu werden von den Hauptmasten parallel zum Boden laufende Seile gehalten, die eine zusätzliche Ebene bilden, auf der sich dann kleinere Masten abstützen, welche die Hochpunkte bilden.

Die Schwimmhalle

Sie wurde als zeltartiger Bau mit je zwei Hoch- und Tiefpunkten ausführt. Einer der Masten ist besonders hoch, unter ihm ist der Sprungturm plaziert. Um trotzdem so flach wie möglich zu bleiben wurden die Schwimmbecken in den Boden versenkt; die obersten Ränge der Tribüne sind also auf Ergeschoßhöhe. Entlang der jetzigen großen Fensterfront hinter dem Sprungturm (von der Tribüne aus gesehen) war während der Spiele eine zusätzliche Tribüne angebracht, daher mußten die Abspannböcke für das Randseil besonders hoch sein. Das Dach besitzt eine Wärmeisolierung unter der Plexiglasschicht.

 

Das Olympiastadion


Dieses Bauwerk stellt sicherlich den beeindruckendsten Teil der Anlage dar. Mit 34500 m² zu überdachender Fläche und der Aufgabe, keine Stützen im Innenraum oder der Tribüne zu plazieren waren an die Phantasie der Planungsteams größte Anforderungen gestellt worden.
Zwei große Masten mit ca. 70 m Höhe und sechs etwas kleinere tragen die aufgrund der großen Fläche notwendigen Luftstützen. Während für die Tiefpunkte hinter der Tribüne herkömmliche Bodenanker sorgen, ist auf der Vorderseite keine Möglichkeit dafür gegeben, da diese Anker mitten im Spielfeld sein müßten. So wurde ein 400 m langes Randseil gespannt, das auf der gegenüberliegenden Seite der überdachten Tribüne mit 4000 t schweren Betonquadern im Boden verankert ist. Diese Anker in der Größe eines kleinen Einfamilienhauses sind aber an der Oberfläche nicht sichtbar, und so läßt sich die enorme Spannung, unter der das Randseil steht, kaum nachvollziehen. Jedoch hat sich gezeigt, daß sich das Seil selbst bei stärksten Windbelastungen nicht mehr als 1 m vertikal bewegt, ein auf Grund der Größe des Bauwerks unerheblicher Wert.

Die oft sehr starken Schneebelastungen in Bayern, Wind, Hitze und Regen haben an den Zelten des Olympiaparks bisher keinen Schaden angerichtet. Es gab keinerlei Zwischenfälle, und mittlererweile dürften auch die letzten Skeptiker von der technischen Ausführung überzeugt sein. Und wohl kaum jemand kann die formale Selbstverständlichkeit dieser Bauwerke bestreiten. Nichts wirkt aufgesetzt oder erzwungen (da die heute etwas albern wirkenden Beleuchtungs- und Beschallungsanlagen auf dem Gelände nach den Spielen entfernt wurden), da auch hier wieder die endgültige Form des Daches „von selbst“ entsteht.

 

Sicherlich sind Frei Ottos Bauten nicht für jeden Zweck ideal. Und auch viele seiner späteren Ideen, die überdachten Städte, pneumatische Hüllen für Raumstationen und vieles andere mehr wurden sicherlich von den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen überholt und erscheinen uns heute als zwar faszinierende, aber auch sehr ferne Vision. Seine realisierten Bauten sind aber von einer beeindruckenden Treffsicherheit, was Form und Funktion angeht, und begeistern mich immer wieder aufs Neue. Und sofern seine Bauwerke heute noch stehen, haben sie auch die ständige Belastung durch die Witterung gut ausgehalten. So ist es beispielsweise im Olympiazentrum die Aufgabe eines nur sehr kleinen Teams, gealterte Plexiglasscheiben auszutauschen und die Haltbarkeit der Stahlseile zu garantieren, umfangreiche Reperaturarbeiten sind nicht nötig.
Besonders faszinierend finde ich aber die Akzeptanz des Bauwerks in der Bevölkerung, die dem doch recht ungewöhnlichen Bau nicht mit dem sonst bei extravaganten Bauwerken oft herrschenden Unverständnis gegenübersteht, sondern das Bauwerk als Wahrzeichen der Stadt akzeptiert und respektiert.
Und nicht zuletzt die Fans wissen den Schutz gegen meteorologisch-irdische Widrigkeiten sehr zu schätzen, auch wenn die Stimmung auf den Rängen eher sonnig ist, weil der FC Bayern (wie so oft) wieder mal überlegen gewinnt!

 

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© Copyright 1997 by Martin Schuster